27.12.2021

Im Goldrausch

2021 erlebt sie ihr Sommermärchen. Olympiasiegerin. Europameisterin. Weltranglisten-Erste. Mehr geht nicht. Und doch kommt Jessica von Bredow-Werndl komplett unprätentiös daher. Die Liebe zum Pferd ist ihr Erfolgsrezept. Ein Gespräch mit der 35 Jahre alten Dressurreiterin.

Mit ein bisschen Abstand: Müssen Sie sich noch kneifen oder haben Sie die Erfolge des Sommers schon verarbeiten können?

 

Sowohl als auch. Ich habe das alles schon realisiert, auch weil ich unglaublich dankbar bin, dass ich diese Erfolge erleben darf. Aber hin und wieder muss ich mich dann doch noch einmal kneifen, um zu verstehen, dass das alles wirklich passiert ist.

 

Während der Siegerehrung in Tokio standen Sie ganz ungläubig auf dem Podest. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen besonderen Moment?

 

Das war wie eine kleine Zeitreise in meinem Kopf, gefühlt mein ganzes bisheriges Reiterleben ist im Zeitraffer an mir vorbeigezogen. All’ die Niederlagen, das ständige Wiederaufstehen und Weitermachen. Aber auch die vielen Zwischenziele, die ich erreicht habe und die mich weiter an meinen Traum haben glauben lassen. Und dann habe ich auf die Flagge geschaut, der Hymne gelauscht, und realisiert, dass dieser Traum jetzt wahr geworden ist.

 

Das mediale Interesse ist groß. Wie erleben Sie diese emotionale, aber auch anstrengende Zeit?

 

Es berührt mich, dass sich so viele Menschen für mich freuen. Allein schon deswegen möchte ich etwas zu[1]rückgeben und andere an dem teilhaben lassen, was ich erleben darf. Das funktioniert nicht, wenn ich mich abschotte. Aber es ist durchaus eine Herausforderung, zu priorisieren. Ich kann nicht jede Anfrage annehmen. Eine Absage ist jedoch keine Entscheidung gegen jemanden, sondern eine Entscheidung für mich und meine Familie.

 

Die oberste Priorität hat also die Familie?

 

Absolut. Meine Familie bedeutet mir alles. Daher bezeichne ich mich auch gerne als „Teilzeit-Profisportlerin“. Ich liebe meinen Alltag in Aubenhausen: vormittags bei den Pferden und nachmittags bei meinem Sohn zu sein. Das ist für mich pures Glück.

Wo sind Ihre Medaillen? Haben Sie einen Ehrenplatz?

 

Die hängen bei uns im Haus, an einer Stelle, die ich jeden Tag sehen kann. Nicht eingerahmt oder im Glaskasten, sondern zum Anfassen. Mir ist es wichtig, die Erinnerung lebendig zu halten. Denn diese Medaillen sind auch eine Bestätigung für uns, für mich und mein Team, dass der Weg, den wir mit den Pferden gehen, richtig ist. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

 

Wie würden Sie diesen Weg beschreiben?

 

Natürlich wollen wir das Optimum aus uns und unseren Pferden herausholen, aber eben mit einer gewissen Leichtigkeit und Freude. Mir liegt es sehr am Herzen, dass meine Pferde mögen, was wir gemeinsam tun. Das funktioniert mit Anerkennung, Abwechslung und viel Zeit von unten – wenn ich nicht im Sattel sitze, sondern mich mit der Persönlichkeit des Pferdes beschäftige. So finde ich zu jedem einzelnen von ihnen einen individuellen Zugang.

 

Spürt Dalera, wenn es um etwas Besonderes geht?

 

Natürlich. Auf einem Championat verbringen wir noch mehr Zeit miteinander. Da hat sie ja meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das genießt sie sehr. Im Umgang ist sie sanftmütig, gelassen und total verschmust. Aber sobald ich im Sattel sitze und die Zügel aufnehme, ist sie „richtig an“, reagiert auf die feinsten Hilfen, will sich zeigen und ihr Bestes geben. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.

 

Sie selbst wirken immer sehr unaufgeregt. Täuscht der Eindruck, oder sind sie tatsächlich nie nervös?

 

Doch, klar. Auch ich bin angespannt und nervös. Mental ist das wirklich eine große Herausforderung: nervlich stark zu bleiben und immer wieder auf den Punkt unsere Leistung abzurufen. Denn bei jedem großen Turnier oder Championat klopft natürlich die Angst, Fehler zu machen, jeden Tag an deine Tür. Zu gewinnen ist nicht selbstverständlich. Über die Jahre habe ich mir aber Techniken angeeignet, die mir dabei helfen, meine Nervosität in die richtigen Bahnen zu lenken.

Sie treiben neben dem Reiten generell viel Sport. Inwiefern hilft Ihnen das im Sattel?

 

Dalera und ich, wir sind wie ein Tanzpaar, ich bin meist der führende Part (lacht). Führe ich falsch, kann sie nicht gut tanzen. Deshalb finde ich es sehr wichtig, dass wir Reiter auch Athleten sind. Nur wenn wir geschmeidig und stabil in unserer Körpermitte sind, können wir die Pferde dabei unterstützen, sich ausdrucksstark zu bewegen. Aus diesem Grund haben mein Bruder und ich mit DressurFit® ein Fitnessprogramm entwickelt, durch das jeder Reiter Kraft und Balance gewinnen kann.

 

Sie sind erst 35 und schon Doppel-Olympiasiegerin. Wie geht es weiter?

 

Das Schöne ist: Das, was ich jetzt erreicht habe, kann mir keiner mehr nehmen. Aber ich habe große Lust, es zu wiederholen (lacht). Und es gibt durchaus noch ein paar Ziele, die ich erreichen möchte.

 

Ein Sieg im Deutsche Bank Preis beim CHIO Aachen fehlt auch noch auf Ihrer Erfolgsliste …

 

Ja, das stimmt. Dieses Turnier ist für mich neben den Championaten immer das Highlight des Jahres. Mit perfekten Bedingungen, außergewöhnlichen Sportstätten und einem begeisterten Publikum. Dort auf der Siegertafel zu stehen, davon träumt jeder Reiter. Ich natürlich auch.

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Zu Besuch in Aubenhausen | So leben Dalera, Unee & Co.