22.07.2025
Magische Momente im Dressurstadion beim CHIO Aachen 2025: Experte Christoph Hess im Interview
Wenn große Namen auf neue Gesichter treffen, entstehen Geschichten, die den Reitsport lebendig machen – so geschehen beim CHIO Aachen 2025. Von Justin Verboomens großem Triumph bis zu Isabell Werths magischer Kür: Die Prüfungen im Dressurstadion boten in diesem Jahr alles, was das Herz begehrt. Im Interview ordnet Dressur-Experte Christoph Hess die besonderen Geschichten dieses Turniers ein – und spricht über die Chancen der Digitalisierung im Dressursport.
In der Dressur hat der CHIO Aachen auch 2025 wieder große Geschichten geschrieben. Denken wir an den Belgier Justin Verboomen, der gleich bei seiner Aachen-Premiere den MEGGLE-Preis sowie den Lindt-Preis gewonnen hat. Oder an Isabell Werth, die mit Wendy eine persönliche Bestleistung im Grand Prix Special erzielt hat und mit einer fantastischen Kür einmal mehr für Standing Ovations gesorgt hat. Oder an die Britin Becky Moody, die erstmals in der Aachener Soers am Start war und gleich zum Publikumsliebling avancierte. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Christoph Hess: Solche Geschichten braucht der Sport: neue Gesichter, die überraschend auftreten und den etablierten Stars alles abverlangen. Das war beste Werbung für den Dressursport und hat eindrucksvoll gezeigt, wie spannend diese Disziplin sein kann. Besonders beeindruckend war, dass mit Justin Verboomen und Becky Moody zwei bislang weniger bekannte Namen in Aachen so groß auftrumpfen konnten. Es tut dem Sport gut, wenn nicht immer nur die deutsche Nationalhymne erklingt. Ich war wirklich begeistert, wie stark Belgien insgesamt aufgetreten ist – eine Nation, die man in der Dressur bislang nicht so sehr auf dem Radar hatte. Vor allem Justin Verboomen hat bereits im Grand Prix, dem Preis der Familie Tesch, eine sehr gute Runde gezeigt, auch wenn sein Ritt hier und da noch etwas von Spannung geprägt war. Im MEGGLE-Preis, dem Grand Prix Special, war er für mich der verdiente Sieger – das war eine wirklich tolle Vorstellung, sehr schön geritten.
Im großen Finale, dem Lindt-Preis, habe ich persönlich Isabell Werth vorne gesehen, weil sie in der Kür noch einmal eine ganz besondere Dimension erreicht. Sie versteht es meiner Meinung nach wie keine Zweite, das Publikum mitzunehmen. Auch Justin hat hervorragend geritten, keine Frage. Sein Hengst Zonik Plus präsentierte sich wunderbar, für meinen Geschmack allerdings hätte er das Ende aber noch stärker herausarbeiten können – plötzlich war es vorbei. Isabell hingegen dreht am Ende ihrer Kür noch einmal richtig auf, reitet fast bis an den Richtertisch bei C, und setzt mit einer letzten Piaffe-Passage-Tour noch einen tollen Schlusspunkt. Dann nimmt sie die Zügel in eine Hand, genießt den Moment und bekommt verdient Standing Ovations. Die Zuschauer waren wirklich begeistert.
Es war am Ende ja eine ganz knappe Entscheidung mit keinem einheitlichen Richterurteil, die einen hatten Isabell vorne, die anderen Justin. Wäre ich Richter in Aachen gewesen, hätte ich Isabell vorne gesehen. Das schmälert aber keineswegs die Leistung von Justin Verboomen – auch er hat großartig geritten. Insgesamt hat es einfach Freude gemacht, diesen beiden zuzuschauen. Da wiederhole ich mich gerne: das war eine ganz wertvolle Werbung für den Sport.
Ihre Einschätzung zeigt, dass das Richten in der Dressur am Ende auch immer ein subjektives Bewerten ist. Welche Rolle kann Künstliche Intelligenz da in Zukunft spielen?
Christoph Hess: Aus meiner Sicht wird es in Zukunft unumgänglich sein, mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten. Der CHIO Aachen könnte hier als Aushängeschild durchaus als Testfeld dienen – zunächst vielleicht nicht im offiziellen Wettbewerb, aber um einen Eindruck zu gewinnen, wie weit KI bei objektiv messbaren Kriterien bereits unterstützen kann. So hätten die Richter mehr Kapazitäten, sich auf Aspekte wie die Körpersprache des Pferdes und das Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd zu konzentrieren. Ich halte es jedoch nicht für sinnvoll, die menschlichen Richter komplett durch KI zu ersetzen. Das, was zwischen „Himmel und Erde“ passiert, muss weiterhin ein Mensch bewerten: Wie agieren Pferd und Reiter? Wie harmoniert das Paar? Diese Feinheiten kann eine KI aus meiner Sicht nur schwer erfassen. Als unterstützendes Werkzeug halte ich KI aber für absolut sinnvoll.
Gerade beim Lindt-Preis zeigt sich: Eine Kür ist weit mehr als das bloße Aneinanderreihen von Lektionen. Es geht darum, mit der Kür eine Geschichte zu erzählen, einen Spannungsbogen von Anfang bis Ende zu schaffen. Wenn der Reiter es schafft, das Publikum emotional mitzunehmen, entsteht eine ganz neue Dimension. Natürlich muss das Reiten stimmen – das ist die Basis. Aber um in Aachen zu gewinnen, muss man auch begeistern können.
Begeistert war das Aachener Publikum definitiv auch von der Britin Becky Moody. Das Stichwort „Publikumsliebling“ ist schon gefallen.
Christoph Hess: Bis zum CHIO Aachen 2025 hatte ich Becky Moody persönlich noch nie live erlebt, nur von ihr gelesen. Bis zu den Olympischen Spielen in Paris war sie ja kaum außerhalb Großbritanniens bekannt. Dort hatte sie sich bereits einen Namen gemacht, aber sie nun in Aachen zu sehen, war wirklich ein Erlebnis. Wie sie mit ihrem Jagerbomb für Stimmung gesorgt hat, ihre offene Art, ihr ehrliches und korrektes Reiten – das hat das Publikum begeistert. Besonders beeindruckend ist auch ihre Geschichte: Sie hat ihr Pferd selbst gezogen und ausgebildet. Das alles kommt in Kombination bei den Zuschauern in Aachen natürlich bestens an.

Das Foto zeigt die Britin Becky Moody im Dressurstadion beim CHIO Aachen 2025.
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